Dorfgeschichte Rossau

Tafel 22 – Schreinerei Müller

Von der Wagnerei zur Schreinerei – Drei Handwerke, sechs Generationen

Eingangs der «Ankengasse» in Rossau befand sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Wagnerei. Aus den grundbuchamtlichen Unterlagen geht hervor, dass bereits am 29. April 1847 ein Gültbrief, lautend auf Berta Bütler-Baumann, auf dem halben Wohnhaus mit Abtrittanbau, einem Drittel Scheune und Stallung sowie einem Zwölftel an der Trotte, eingetragen war. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist das Haus um einiges älter, als besagtes Dokument.

Um 1880 begann Heinrich Lier, ein Geschlecht aus dem nahen Kappel, mit der Wagnerei. Zu dieser Zeit war er auf dem Grundstück eingemietet.

Haus «Lier» an der ehemaligen Ankengasse in Rossau im Jahre 1910

Am 24. Januar 1910 kauft Gottfried Lier je ein halbes Haus sowie ein Drittel der Scheue und Stallungen von der Witwe Susanna Frei-Buchmann und von Paulina Bickel-Klemm. Bereits am 16. Dezember 1910 konnte er noch den fehlenden Drittel von Stall und Scheune von den Schwestern Anna und Barbara Hug dazukaufen. Gottfried Lier führte in zweiter Generation in Rossau eine mechanische Wagnerei (siehe Abbildung – diese Fotographie stammt aus dieser Zeit von 1910). Dank dem grossen handwerklichen Geschick des jungen Wagners entstand an der westlichen Hausfassade eine Säge, wo die Holzstämme zu Brettern verarbeitet werden konnten (Eigenkonstruktion).

Die Eigenkonstruktion der Säge an der Hausfassade des Hauses «Lier» zu erkennen. Diese Säge erstrahlt nach der gänzlichen Restaurierung durch Beat Müller in neuem Glanz.

Im Jahre 1910 konnte die von der Wasserversorgungsgenossenschaft Rossau erstellte Wasserleitung zum Betrieb einer Turbine der Wagnerei Lier für den Betrieb genutzt werden. Für den enormen Wasserverbrauch der Turbine von Wagner Lier wird der Zins auf Fr. 100.- festgelegt, zu zahlen in 2 Raten – je Martini und Mai, so besagte es das Protokoll der Wasserversorgungsgenossenschaft Rossau.

Um 1914 kam die Elektrifizierung mit welcher die Wasserturbine durch einen Elektromotor ersetzt wurde. Dem Kauf einer neunen Hobelmaschine stand durch die erhöhte Antriebsleistung nichts mehr im Wege.

Der Sohn Albert Lier kaufte die Liegenschaft am 26. März 1923 und übernahm den Betrieb. Dieser war damals bereits «modern» eingerichtet und verfügte über Maschinen mit holzigen Maschinenständern.

Die Rechnung der mech. Wagnerei Albert Lier aus Rossau vom 6. April 1935 für «Awögli» (Verbindungsstück zwischen Wagengespann und Pferd). Bereits damals verwendete man schöne vorgedruckte Papierbogen.

Nachdem Albert bereits am 13. Februar 1936 verstorben war, mussten die Erben die Werkstätte an einen Schreiner namens Steiger verpachten.

Der Familiennachwuchs der Familie Lier war ausschliesslich weiblichen Geschlechts und so ehelichte der Zimmermann Jakob Müller die Tochter Clara Lier, welche infolge der Erbteilung am 29. Oktober 1941 Alleineigentümerin der Liegenschaft geworden war. Von nun an führte Jakob Müller einen Zimmermannsbetrieb.

Im Jahre 1974 kaufte dessen Sohn Beat Müller die Liegenschaft und begann mit der Schreinerei. Zu Anfangszeiten wurden noch die Maschinen der ursprünglichen Wagnerei genutzt. Wohnhaus und Schreinerei wurden saniert. Im Verlaufe der Zeit wurde die Schreinerei durch Anbauten erweitert und modernisiert.

Während Jahren etablierte sich die Schreinerei durch fachmännisches Handwerk und sicherte nicht nur der Familie Müller, sondern einigen Mitarbeitenden die Existenz. Dass der eigene Sohn Marcel die Schreinerei mit Liegenschaft im Jahre 2013 übernehmen und in eigener Regie weiterführen kann, entspricht leider nicht mehr den gewöhnlichen Verhältnissen, da oft die Nachfolge in der eigenen Familie gefährdet ist und der technische Fortschritt sowohl finanziell, wie auch ausbildungsmässig hohe Ansprüche an kleinere Handwerksbetriebe stellt.